Neue Nutzung für Flusswasserleitung in Kassel nach grabenloser Sanierung

Eine Flusswasserleitung in Kassel soll künftig in der Innenstadt eine Zisterne zur Reinigung des Kanalnetzes und für die Bewässerung städtischer Grünflächen füllen. Dazu musste die Leitung allerdings erst saniert werden. Der Leitungsverlauf mit mehreren Bögen durch teils unzugängliches, teils geschütztes Gelände erforderte eine spezielle – am besten grabenlose – Lösung. Um diese zu finden und umzusetzen, brauchte Betreiber KASSELWASSER einen langen Atem.

Die sogenannte Fuldawasserdruckleitung aus dem Jahr 1920 musste aufgrund ihres baulichen Zustandes und der geplanten neuen Nutzung in der Innenstadt saniert werden. Ursprünglich diente die Leitung der Wasserversorgung von Dampflokomotiven am Hauptbahnhof und der Brauchwasserversorgung eines Ausbesserungswerkes der Deutschen Bahn. Dazu wurde das Wasser aus dem Fluss Fulda entnommen und mittels Pumpen über eine etwa 1,5 Kilometer lange Druckleitung zum Bahnhof befördert. Die Trasse der Leitung beginnt hinter der historischen Orangerie in der Fuldaaue, durchquert das nach der Bundesgartenschau 1981 angelegte Landschaftsschutzgebiet, verläuft weiter über das documenta-Gelände und schließlich über mehrere hundert Meter quer durch die Fußgängerzone der Innenstadt bis zum Hauptbahnhof.

Das neue Nutzungskonzept sieht den Bau einer Zisterne in der Innenstadt vor. Aus dieser soll KASSELWASSER als Betreiber des Kanalnetzes zukünftig Wasser für Reinigungszwecke entnehmen können. Gleiches gilt für das Umwelt- und Gartenamt zur Bewässerung der Bäume und Grünflächen in der Innenstadt. Dazu soll das Wasser aus der Fulda mittels elektronischer Schaltung innerhalb von 30 Minuten in die rund zwölf Kubikmeter große Zisterne gepumpt werden. Der Höhenunterschied zwischen der Fulda und dem Standort der geplanten Zisterne beträgt etwa 27 Meter. Im ersten Bauabschnitt 2022 sanierte KASSELWASSER dazu zunächst rund 750 Meter Rohrleitungen. Der Bau der Zisterne folgt im zweiten Bauabschnitt 2023.

Komplexe Vorarbeiten und Planung

Für die Planung der gesamten Baumaßnahme musste der Betreiber KASSELWASSER im Vorfeld zunächst die Lage der Leitung sowie deren Zustand ermitteln. Es gab nur wenige zugängliche Altbauwerke und auch historische Lagepläne waren nur teilweise und unvollständig vorhanden. Deshalb wurde die Leitung durch Suchschachtungen freigelegt. An diesen Stellen wurden auch Kameras zur optischen Inspektion eingesetzt.

Schnell stellte KASSELWASSER fest, dass die bestehende Leitung eine erhebliche Anzahl von Bögen aufweist und große Teile in unzugänglichen und geschützten Bereichen verlaufen. Außerdem identifizierte der Betreiber zwei Dükerungen an einem Gewässer und einem querenden Mischwassersammler. Dennoch gelang es KASSELWASSER mit großem Aufwand, die alte Graugussleitung mit der Nennweite DN 300 nahezu vollständig zu inspizieren. Dabei stellte das Inspektionsteam neben den Bögen auch erhebliche Inkrustationen und Ablagerungen bis zu 70 % der Nennweite fest. Eine umfangreiche Kanalreinigung beseitigte die Ablagerungen und Inkrustationen soweit, dass eine optische Inspektion möglich wurde.

Nach diesen Vorarbeiten war für KASSELWASSER klar, dass aufgrund der Lage der Leitung in einem Landschaftsschutzgebiet und einer denkmalgeschützten Treppenanlage bzw. in der Innenstadt mit einer Baumallee eine offene Bauweise ausgeschlossen war. Für die Sanierungsplanung stand der Betreiber vor folgenden Herausforderungen:

  • Welches Sanierungssystem ist für die Düker und Bögen bis 90 Grad mit den aktuell noch vorhandenen Inkrustationen und Restablagerungen geeignet?
  • Wie kann eine offene Bauweise vermieden oder minimiert werden?
  • Ist die Zugänglichkeit für mögliche Sanierungsfahrzeuge gewährleistet?
  • Wie können die verbleibenden Inkrustationen und Ablagerungen aus der Leitung entfernt und entsorgt werden?

Während der Planung wurde KASSELWASSER schnell bewusst, dass herkömmliche Verfahren zur Druckrohrsanierung, wie etwa mit PE-Rohren oder Close-fit-Linern, ohne umfangreiche begleitende offene Bauweise nicht eingesetzt werden können. Grund dafür sind die Gegebenheiten, insbesondere die 90-Grad-Bögen. Insgesamt dauerten die Vorarbeiten für die Bestandsaufnahme und die Sanierungsplanung knapp zwei Jahre.

Primus Line® einzige Option für die Sanierung

Eine umfangreiche Marktanalyse ergab, dass die einzige Sanierungsmöglichkeit der Einbau des selbsttragenden Primus Line® Systems der Rädlinger primus line GmbH war. Dabei handelt es sich um einen mit Kunststoffen beschichteten flexiblen Gewebeschlauch aus Aramidfasern. Aber auch für die Verwendung von Primus Line® war ein weiteres Jahr an Planung und Vorgesprächen notwendig, da der Einsatz des Systems für eine derartige Sanierung eine Premiere darstellte.

KASSELWASSER und Rädlinger primus line GmbH erarbeiteten gemeinsam ein Sanierungskonzept, das folgende Fragen umfassend beantwortete:

  • Wie kommt das neue Rohr in die bestehenden Leitung mit ihren vielen Bögen?
  • Kann der bestehende Durchmesser beibehalten werden?
  • Welcher Pumpendruck kann aufgenommen werden?
  • Wie können die Standorte für eventuell notwendige Einzugsbaugruben realisiert werden?
  • Kann oder muss ein kleineres Rohr eingezogen werden, um die Bögen zu überwinden?
  • Wenn ja, kann oder muss der Ringraum verfüllt werden?

Da das System selbsttragend ist, braucht es keine direkte Verbindung zum Altrohr. Die Druckstufe ist je nach Bedarf frei wählbar und wurde dem vorhandenen Pumpendruck angepasst. Die Bögen und Düker konnten ohne Baugruben durchfahren werden, lediglich für den Einzug des Primus Liners waren vier Baugruben erforderlich. Diese und die vorhandenen Bauwerke ermöglichten schließlich den Einzug eines Liners DN 150 in das Altrohr DN 300, wobei die kleinere Nennweite aufgrund der vorhandenen Bögen gewählt wurde. Die Lage der Baugruben wurde in enger Abstimmung zwischen allen Beteiligten festgelegt und der Ausführungszeitraum auf nach Ende der documenta 2022 verschoben.

Die Reinigung mit Stahlkratzern und Gummischeiben sowie die Bergung und Entsorgung des Abraumes stellten die größte Herausforderung dar. Die Bögen und Düker waren mit dem Spezialgerät nur sehr schwer zu durchfahren und der Abraum sammelte sich immer wieder vor den Dükern. Nach drei Wochen Feinarbeit war die Reinigung beendet: Die Leitung war frei von Ablagerungen und die Inkrustationen fast vollständig entfernt.

Nun konnte die eigentliche Sanierung beginnen. Der auf Trommeln angelieferte, U-förmig vorgefaltete Liner wurde mit Seilwinden in die zu sanierenden Rohrabschnitte eingezogen. Anschließend wurde der Primus Liner mit Druckluft von etwa 0,5 bar in seine kreisrunde Form gebracht. Der längste Einzug war etwas mehr als 200 Meter lang. An den Enden brachte das Montageteam der Rädlinger primus line GmbH die speziell entwickelten Verbinder an, welche den Liner mit dem Altrohr koppeln.

Die jeweiligen Zwischenstücke in den Baugruben wurden später vor Ort mit schweißbaren PE-HD-Rohren gefertigt und abschließend eine Druckprüfung durchgeführt. Die Installationszeit des Liners mit allen Vorbereitungen dauerte vier Wochen, die gesamte Baumaßnahme umfasste einen Zeitraum von acht Wochen.

Fazit

Die Sanierung der Fuldawasserdruckleitung ist ein außergewöhnliches Projekt, das aufgrund der Rahmenbedingungen sicherlich als Einzelfalllösung zu betrachten ist. Bei der Sanierungsplanung sind sowohl KASSELWASSER als auch die Rädlinger primus line GmbH neue Wege gegangen.

Bereits bei der Schadensfeststellung im Rahmen der Erstinspektion wurde deutlich, dass klassische Sanierungsverfahren aufgrund der Inkrustationen, Ablagerungen, Düker und 90-Grad-Bögen nicht in Frage kamen. Die schwierige Zugänglichkeit und die örtlichen Gegebenheiten schlossen weitere Möglichkeiten aus. Nach einem langen Planungsprozess fand KASSELWASSER mit der Rädlinger primus line GmbH einen Partner für dieses außergewöhnliche Projekt, der bereit war, sein Produkt für dieses neuartige Sanierungsverfahren zu testen. KASSELWASSER als Auftraggeber ging ein gewisses Risiko ein und die Rädlinger primus line GmbH als Auftragnehmer schöpfte die speziellen Eigenschaften ihres Produkts voll aus. So konnte ein für alle Beteiligten äußerst zufriedenstellendes Ergebnis erzielt werden. Umso größer war die Freude, als sich nach Abschluss der Sanierungsarbeiten und Inbetriebnahme der Leitung am anderen Ende – dort, wo sich künftig die Zisterne befinden wird – die ersten Tropfen Wasser aus der Fulda flossen.

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